Der Digital Services Act (DSA) zielt darauf ab, Online-Plattformen und Suchmaschinen zu regulieren, die eine signifikante Reichweite in der EU haben. Im April 2023 wurden erste Plattformen als „sehr große Online-Plattformen“ (Very Large Online Platform-VLOPs) oder „sehr große Online-Suchmaschinen“ (Very Large Online Search Engines -VLOSEs) benannt, darunter Amazon, Facebook und Zalando. Diese Einstufung basiert auf einem Schwellenwert von 45 Millionen aktiven Nutzern in der EU. Sie bringt zusätzliche Pflichten mit sich, wie etwa Maßnahmen zur Risikobewertung, -minderung und Berichterstattung (Art. 34 bis 42 DSA).
Zalando widersetzt sich seiner Einstufung als VLOP und argumentiert, dass sein hybrides Geschäftsmodell – die Kombination aus eigenem Einzelhandel und Vermittlungsdiensten für Drittanbieter – eine differenzierte Betrachtung seiner Nutzerzahlen erfordert. Die EU-Kommission hingegen zählt alle Nutzer und argumentiert, dass Zalando die Schwelle überschreitet.
Systemische Risiken und regulatorische Anforderungen
Der Digital Service Act (DAS) zielt auf die Eindämmung systemischer Risiken ab, die von großen Plattformen ausgehen können. Zu diesen Risiken zählen die Verbreitung rechtswidriger Inhalte, negative Auswirkungen auf Grundrechte, Beeinflussung gesellschaftlicher Debatten oder Wahlprozesse sowie Gefahren für die öffentliche Gesundheit und der Schutz Minderjähriger. Plattformen wie Zalando müssen regelmäßig Risiken bewerten und Maßnahmen zu deren Minderung ergreifen.
Die EU-Kommission argumentiert, dass hybride Plattformen wie Zalando aufgrund ihrer Reichweite und ihres Einflusses auf Nutzer systemische Gefahren bergen. Sie sieht die Pflicht zur umfassenden Einhaltung des DSA auch für Dienste mit gemischten Modellen als gerechtfertigt an, da diese durch Netzwerkeffekte gesellschaftliche und wirtschaftliche Auswirkungen haben können.
Die Definition von Nutzern und die Berechnung der Schwelle
Die Einstufung als VLOP erfolgt durch die Ermittlung der durchschnittlichen Zahl aktiver Nutzer (Erwägungsgrund 77 DSA). Nutzer i. S. d. DSA ist jede natürliche oder juristische Person, die einen Vermittlungsdienst in Anspruch nimmt, insbesondere um Informationen zu erlangen oder zugänglich zu machen (Art. 3 lit. b DSA).
Der DSA unterscheidet zwischen Nutzern, die aktiv mit Plattformen interagieren (z. B. durch Käufe oder Uploads), und solchen, die lediglich Inhalte wahrnehmen. Die EU-Kommission argumentiert, dass alle Nutzer einer Plattform gezählt werden sollten, unabhängig davon, ob sie mit Inhalten interagieren oder nur passive Empfänger sind.
Zalando hingegen meint, dass nur Nutzer zu berücksichtigen sind, die mit Drittanbietern interagieren, da sein hybrides Modell sowohl eigene als auch fremde Inhalte umfasse. Die EU-Kommission lehnt dies ab und verweist darauf, dass Nutzer bei Zalando keine klare Unterscheidung zwischen Eigen- und Drittinhalten treffen können. Die gemeinsame Präsentation auf der Plattform mache sie für alle Nutzer relevant.
Hybride Plattformmodelle und ihre Herausforderungen
Zalandos hybrides Modell kombiniert den Verkauf eigener Produkte mit einem Marktplatz für Drittanbieter. Die Firma argumentiert, dass sie als Einzelhändler tätig sei und deshalb nicht unter die Definition einer Vermittlungsplattform falle. Zudem fordert Zalando, Nutzerzahlen für eigene und Drittinhalte getrennt zu berechnen.
Die EU-Kommission hingegen betrachtet Zalando als Hosting-Dienst, der Informationen von Nutzern speichert und verbreitet. Zalando sei damit eindeutig als VLOP einzustufen. Sie betont, dass die gemeinsame Anzeige von Eigen- und Drittinhalten auf Zalandos Plattform eine Differenzierung unmöglich macht. Diese Position stützt sie auf den weiten Nutzerbegriff des DSA, der alle Empfänger von Plattforminhalten einbezieht.
Kritikpunkte und rechtliche Unsicherheiten
Zalando wirft der EU-Kommission nun vor, den DSA zu unpräzise auszugestalten. Der Schwellenwert von 45 Millionen aktiven Nutzern sei zwar klar, doch die Berechnungsmethodik lasse zu viele Interpretationsspielräume offen. Die Firma argumentiert, dass der DSA unionsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen nicht genüge und sich eine differenzierte Behandlung von hybriden Modellen rechtlich aufdränge.
Die EU-Kommission hält dagegen, dass die Flexibilität des DSA notwendig sei, um neue Marktentwicklungen zu berücksichtigen. Sie sieht den weiten Nutzerbegriff und die einheitliche Anwendung des Schwellenwerts als gerechtfertigt an, da systemische Risiken unabhängig von spezifischen Geschäftsmodellen auftreten können.
Zusammenfassung
Die Debatte um Zalando verdeutlicht die Herausforderungen, die der DSA für hybride Plattformmodelle mit sich bringt. Während die EU-Kommission auf eine umfassende Anwendung der Vorschriften pocht, argumentiert Zalando, dass sein Modell eine differenziertere Behandlung erfordert.
Die EU-Kommission steht vor der Aufgabe, klare und praxisnahe Regelungen zu entwickeln, die sowohl die systemischen Risiken großer Plattformen adressieren als auch die Vielfalt der Geschäftsmodelle berücksichtigen. Die rechtliche Auseinandersetzung um Zalando wird nicht nur die Interpretation des DSA prägen, sondern auch den Umgang mit hybriden Diensten im europäischen Rechtsrahmen nachhaltig beeinflussen. Unternehmen sollten daher bei der Berechnung der Schwellenwerte (Art. 33 DSA) alle Nutzer einbeziehen, um abzuschätzen, welche Pflichten sich für sie ergeben (u.a. Risikobewertungen, Krisenreaktionsmechanismus und Transparenzpflichten).
Weiterführende Informationen
- Liste der Benennung als VLOPs und VLOSEs durch die EU-Kommission: https://digital-strategy.ec.europa.eu/de/policies/list-designated-vlops-and-vloses