Flexible Arbeitszeitmodelle – der Wunsch vieler Mitarbeitenden stellt Unternehmen vor besondere Herausforderungen. Um Effizienz und Produktivität sicherzustellen, ist eine solide und gut handhabbare Arbeitszeitverwaltung unabdingbar. Hinzu kommen rechtliche Anforderungen, für die eine präzise Erfassung von Arbeitszeiten eine entscheidende Rolle spielen wird. Doch wie findet man eine passende Software und was ist bei der Auswahl zu beachten?
In diesem Nachgelesen erfahren Sie:
- welche Potentiale und Herausforderungen digitale Zeiterfassungssysteme mit sich bringen,
- welche rechtlichen Grundsätze gelten und mit welchen Tipps die Systemeinführung gelingt,
- was eine Arbeitszeiterfassung überhaupt beinhalten soll und
- wie Sie bei der Auswahl eines digitalen Zeiterfassungstools vorgehen.
Zeiterfassungssysteme – reine Pflicht oder auch eine Chance für Mitarbeitende und Arbeitgeber?
Immer mehr Unternehmen beschäftigen sich mit der Einführung einer digitalen Zeiterfassung. Denn einerseits bietet die Implementierung eines solchen Systems zahlreiche Vorteile für Mitarbeitende sowie Unternehmen und anderseits ist die systematische Erfassung verpflichtend.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit dem Grundsatzurteil vom 13. September 2022 festgelegt, dass in Deutschland eine generelle Pflicht zur Arbeitszeiterfassung für alle Mitarbeitenden besteht. Laut § 3 Abs. 2 Nr. 1 des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) muss ein System eingeführt werden, welches die gesamte geleistete Arbeitszeit erfasst. Das BAG beruft sich dabei auf ein bereits im Mai 2019 gefälltes Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Im sogenannten Stechuhr-Urteil wurden die Mitgliedsstaaten in die Pflicht genommen, ein Zeiterfassungssystem einzuführen.[1]
Damit wird das Ziel verfolgt, die Einhaltung der Arbeitszeitregeln zu kontrollieren. Ohne systematische Erfassung könne weder die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden und ihre zeitliche Verteilung noch die Zahl der Überstunden objektiv und verlässlich ermittelt werden. Mit dem Urteil sollen demnach die Rechte der Arbeitnehmenden gestärkt und ein besserer Schutz der Sicherheit und Gesundheit gewährleistet werden, denn überlange Arbeitszeiten machen krank, bei Überstunden steigt das Unfallrisiko (Abbildung 1).

Je länger die Arbeitsdauer ist, desto höher ist das Risiko für Fehlhandlungen und arbeitsbedingte Unfälle. Nach der 8. Arbeitsstunde erhöht sich das Unfallrisiko exponentiell (in Abhängigkeit der Beanspruchung), bis sich die Unfallrate ab der 12. Stunde sogar verdoppelt. Gründe liegen hier in der abnehmenden Wachheit und Konzentrationsfähigkeit.[3]
Neben dem Gesundheitsschutz und dem Schutz der Sicherheit bieten digitale Zeiterfassungssysteme den Mitarbeitenden und dem Unternehmen viele weitere Vorteile. Möglichen Herausforderungen sollten Unternehmen proaktiv entgegenwirken, beispielsweise durch transparente Prozesse oder Mitarbeiterpartizipation (Tabelle 1).
Potentiale | Herausforderungen |
---|---|
|
|
Rechtliche Grundsätze und Tipps für die Systemeinführung
Widerstände können sich beispielsweise gegenüber den Themen Dauerüberwachung und Privatsphäre bzw. Persönlichkeitsrechte ergeben, insbesondere wenn biometrische Systeme, wie die Fingerabdruck- oder Gesichtserkennungstechnologie, eingesetzt werden. Diese Systeme dürfen ausschließlich mit Zustimmung der Mitarbeitenden genutzt werden.[4]
Im Sinne des Art. 4 Nr. 2 DSGVO ist die Arbeitszeit ein personenbezogenes Datum. Deshalb gilt der Grundsatz der Datenminimierung, die Datenverarbeitung bedarf einer Rechtfertigung. Eine umfangreiche Leistungs- und Verhaltenskontrolle ist demnach nicht zulässig. Ebenso wenig dürfen Persönlichkeits- und Bewegungsprofile angelegt werden oder eine Dauerkontrolle erfolgen. Eine Monatsübersicht mit Ist-/Soll-Stunden und anlassbezogene Unterrichtung bei Auffälligkeiten oder stichprobenartige Kontrollen sind vertretbar. Die Einsichtnahme in Einzelbuchen über das System müsste hingegen in der Dienstvereinbarung ausdrücklich festgelegt werden.
Sofern ein Betriebsrat im Unternehmen eingesetzt ist, kann dieser umfangreiche Mitbestimmungsrechte beim Arbeitnehmerdatenschutz haben. Hierzu kann auch die Einführung einer elektronischen Zeiterfassung zählen (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG).[5] Es ist somit sinnvoll, den Betriebsrat bereits in der Planungsphase einzubeziehen, da beispielsweise bei Zeiterfassungssystemen zumindest die Möglichkeit zur Leistungs- und Verhaltenskontrolle besteht.
Diese Bedenken von Mitarbeitenden sollten unbedingt ernst genommen werden. Eine offene Kommunikation, z. B. wozu die Zeiterfassung erforderlich ist, welche Technologie dahintersteckt und welche Vorteile sich für die Mitarbeitenden ergeben, fördert die Akzeptanz des Systems.
Zu beachten ist auch, dass das Zeiterfassungssystem die Informationssicherheit gewährleistet im Sinne des VIVA-Prinzips, welches die vier Schutzziele Verfügbarkeit, Integrität, Vertraulichkeit und Authentizität umfasst (Abbildung 2).[6]

Eine weitere Herausforderung ist die Integration des digitalen Zeiterfassungssystems in die vorhandene IT-Infrastruktur des Unternehmens (z. B. vorhandene HR-Systeme /-Prozesse). Bei der Auswahl des neuen Systems sollten unbedingt die Schnittstellen beachten werden.
Um das System effizient nutzen zu können, müssen die Mitarbeiter über ihre Rechte, Pflichten und die Funktionsweise aufgeklärt werden beispielsweise über Schulungsvideos, Webinare oder persönliche Schulungen.
Arbeitszeiterfassung – Was? Wer? Wie?
Erfasst werden muss der Beginn, das Ende und die Dauer der täglichen Arbeitszeit aller Mitarbeitenden, also auch bei Tätigkeiten im Homeoffice oder mobiler Arbeit. Bisher besteht keine Vorschrift, in welcher Form die Zeiterfassung erfolgen muss – sie kann auf elektronischem Weg oder auch handschriftlich erfolgen. Ein Vorschlag zur Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung im Arbeitszeitgesetz und im Jugendarbeitsschutzgesetz wurde bereits ausgearbeitet. Dieser wird derzeit noch regierungsintern beraten. Die Vertrauensarbeitszeit kann trotz Gesetz weiter bestehen, da die Dokumentation der Arbeitszeit davon unberührt bleibt.

Auswahl eines digitalen Zeiterfassungstools
Wer ein digitales Zeiterfassungssystem im Unternehmen einführen möchte, hat zahlreiche Möglichkeiten. Zunächst ist zu klären, ob das System eine Standardlösung, eine angepasste Standardlösung oder eine Individuallösung sein soll. Unterschiede ergeben sich in der Konfiguration und im Funktionsumfang. Je spezifischer das System für das Unternehmen modelliert wird, desto aufwendiger und kostenintensiver.

Einige Anbieter halten speziell auf bestimmte Branchen (z. B. Krankenhäuser, Baubranche, Logistik) abgestimmte Software-Lösungen bereit. Dies sind oft vorkonfigurierte Lösungen, welche auf die speziellen Anforderungen im jeweiligen Bereich abgestimmt werden. Diese gegenüber der Individuallösung kostengünstigere Variante hat zusätzlich den Vorteil, dass sie zeitnah eingesetzt werden kann.
Eine einfache Bedienung und Installation sind für viele von Bedeutung. Und es sollte viel können, aber nicht zu viel kosten. Deshalb lohnt sich eine genaue Analyse der eigenen Bedürfnisse und der auf dem Markt erhältlichen Systeme. Folgende Schritte bei der Systemauswahl sind empfehlenswert:

Anforderungsanalyse
Mittels einer Anforderungsanalyse legen Sie die Kriterien an das digitale Zeiterfassungssystem fest, die für Ihr Unternehmen relevant sind und das System abdecken muss. Um ein objektives Bild zu erhalten, ist es sinnvoll, sich einen Anforderungskatalog mit gewichteten Kriterien anzulegen. Insbesondere unverzichtbare Kriterien (KO-Kriterien) sind festzulegen. Mögliche Kriterien können sein:
- Wie sollen die Daten erfasst werden? Mit welchen Endgeräten?
- Wie sollen die Daten gespeichert werden (lokal auf den mobilen Geräten oder in der Cloud)?
- Welche Anforderungen an die Genauigkeit werden gestellt (sollen die Zeiten sekunden- oder minutengenau erfasst werden)?
- Soll das Zeiterfassungssystem mobil und offline genutzt werden?
- Welche Bedingungen an den Datenschutz und die Datensicherheit (z. B. Backup) stellen Sie?
- Wie sollen die Daten weiterverarbeitet werden (Schnittstellen zu anderen Programmen)?
- Welche Anforderungen werden an den Support gestellt (Problembehandlung, Sicherheitsupdates)?
- Welches Budget steht zur Verfügung für einmalige Kosten (Anschaffung von Hardware, Systemeinführung) bzw. regelmäßige Kosten (Lizenzgebühren, Wartungsvertrag)?
- Wollen Sie ausschließlich eine reine Arbeitszeiterfassung oder sollen auch andere Zeiten erfasst werden können wie bspw. Projektzeiten?
- Welche Auswertungen und Berichte sind relevant (Produktivität und Wirtschaftlichkeit, Auswertung der Vorgabe- und Sollzeiten, Kostendeckung bei Aufträgen)?
- Welche weiteren Funktionen bzw. Module brauchen Sie eventuell für die Verwaltung von Projekten (Abbildung 6)?

Anbieteranalyse und Angebotseinholung
Am Markt gibt es eine Vielzahl digitaler Zeiterfassungssysteme. Eine zum Unternehmen passende Systemlösung findet man am besten über eine Onlinerecherche. Hilfreich bei der Orientierung sind auch Plattformen, die Systeme miteinander vergleichen oder auch Empfehlungen von anderen Unternehmen.
Die festgelegten Kriterien aus der Anforderungsanalyse helfen bei der Systemauswahl. Insbesondere die KO-Kriterien müssen mit dem System erfüllt werden. Aber auch der Erfüllungsgrad der restlichen Kriterien sollte bei der Auswahl einbezogen werden. Mittels Punktevergabe können Sie so schnell eine Rangliste über die Anbieter erstellen. Die passendsten Anbieter werden kontaktiert und um eine Angebotserstellung gebeten.
Testphase
Um herauszufinden, ob die unternehmensspezifischen Anforderungen erfüllt werden, Sie mit dem System bei der Handhabung zurechtkommen oder ob Probleme bestehen, ist die Durchführung eines Testlaufs ratsam. Sie können beispielsweise den Vorgang einer Zeiterfassung simulieren und erfahren so, ob das System zu Ihnen passt.
Binden Sie vorzugsweise mehrere Unternehmensbereiche mit ein, beispielsweise das Personalwesen (Lohnbuchhaltung), das Controlling (Analysen bzw. Datenauswertung), die IT-Abteilung (Systemeinführung und -betrieb) sowie den Betriebsrat.
Finale Entscheidung und Systemeinführung
Haben Sie sich für ein System entschieden, muss dieses im Unternehmen eingeführt werden. Auch hier spielt die Partizipation der Mitarbeitenden eine entscheidende Rolle, um Transparenz zu schaffen und so die die Akzeptanz auf allen Ebenen zu fördern. Durch eine frühzeitige Einbindung möglichst aller Bereiche können (kritische) Fragen geklärt und mit Vorurteilen aufgeräumt werden. Begleitend zur Systemeinführung sollten die Mitarbeitenden eine Einweisung ins System erhalten, um einen reibungslosen Umgang mit der Soft- bzw. Hardware zu gewährleisten.
Zusammenfassung
Die im Grundsatzurteil festgelegte Pflicht zur Arbeitszeiterfassung ist nicht neu, sorgte jedoch für großen Wirbel in der öffentlichen Debatte. Groß ist oftmals die Angst vor Veränderung und Einschränkungen bisheriger Vorteile. Die Metapher der starren Stechuhr wurde bemüht, welche keinerlei Spielraum für flexible Arbeitszeiten oder gar mobiles Arbeiten zuließ. Ein Mythos, der nichts mit moderner Zeiterfassung gemeinsam hat.
Der Markt bietet eine Vielzahl an niedrigschwelligen digitalen Zeiterfassungssystemen, mit denen sich die rechtlichen Vorgaben leicht erfüllen lassen. Gerade in einer digitalisierten Arbeitswelt sollte demnach Zeiterfassung als Chance gesehen werden, sowohl die Rechte der Arbeitnehmenden zu schützen und einen verbesserten Gesundheitsschutz umzusetzen, als auch optimierte Prozesse im Unternehmen umsetzen zu können.
Quellen
- Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Fragen und Antworten zur Arbeitszeiterfassung, https://www.bmas.de/DE/Arbeit/Arbeitsrecht/Arbeitnehmerrechte/Arbeitszeitschutz/Fragen-und-Antworten/faq-arbeitszeiterfassung.html , abgerufen am 01.04.2024
- Dr. Anna Arlinghaus, Gesellschaft für Arbeits-, Wirtschafts- und Organisationspsychologische Forschung (GAWO) e.V., Risikofaktor Arbeitszeit – Die Auswirkungen der Arbeitszeitgestaltung auf das Unfallrisiko, https://www.gawo-ev.de/cms2/uploads/GfA%202014/AUVA_Arlinghaus_FV_full.pdf , abgerufen am 01.04.2024
- WEKA Media, Warum lange Arbeitszeiten ungesund sind, https://www.weka.de/arbeitsschutz-gefahrstoffe/warum-lange-arbeitszeiten-ungesund-sind/ , abgerufen am 03.04.2024
- Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Die EU-Datenschutz-Grundverordnung, https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Publikationen/Digitale-Welt/datenschutzgrundverordnung.pdf?__blob=publicationFile&v=1 , abgerufen am 05.04.2024
- Bundesministerium der Justiz, Betriebsverfassungsgesetz § 87 Mitbestimmungsrechte, https://www.gesetze-im-internet.de/betrvg/__87.html , abgerufen am 15.03.2024
- Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, Virtuelle Versammlungen und Abstimmungen (ViVA), https://www.bsi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/BSI/Cyber-Sicherheit/Themen/Virtuelle_Versammlungen_Abstimmungen.pdf?__blob=publicationFile&v=3 , abgerufen am 28.04.2024