Digitalisierung und Nachhaltigkeit sind eng miteinander verbunden. Sie können sich gegenseitig unterstützen, um die Herausforderungen des Klimawandels und der Ressourcenknappheit anzugehen. Gleichzeitig sind sie Hebel für das wirtschaftliche Wachstum von Unternehmen.
In diesem Nachgelesen erfahren Sie:
- welches die positiven Effekte der Digitalisierung auf Nachhaltigkeit sind,
- welche negativen Effekte Digitalisierung für die Nachhaltigkeit haben kann und
- wie Sie diese Effekte bei der Strategieentwicklung mit Hilfe von Reifegradmodellen betrachten können.
Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) stehen an einem Kipppunkt, an dem die Balance zwischen Digitalisierung und Nachhaltigkeit nicht nur ihre Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch ihre gesellschaftliche Akzeptanz und Zukunftsfähigkeit bestimmt. Die Integration von digitalen Technologien bietet unzählige Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung und zur Entwicklung neuer Geschäftsmodelle. Gleichzeitig erfordert der wachsende gesellschaftliche und regulatorische Druck, dass KMU nachhaltiger wirtschaften und ihre Prozesse und Produkte kritisch hinterfragen und an ökologischen sowie sozialen Kriterien ausrichten. Die Herausforderung besteht darin, Digitalisierung nicht als rein technologische Entwicklung zu begreifen, sondern als Chance, Nachhaltigkeit systematisch in das Geschäftsmodell zu integrieren. Dies erfordert ein Umdenken in der Unternehmensführung und die Bereitschaft, in innovative Technologien und nachhaltige Lösungen zu investieren. Ebenso werden geeignete Werkzeuge benötigt, um die Transformationsprozesse zu begleiten und KMU Möglichkeiten aufzuzeigen, wie diese beiden Themengebiete konkret miteinander vereint werden können.
Positive Effekte der Digitalisierung auf Nachhaltigkeit
Ein reduzierter Einsatz von Energie und Ressourcen ist oft der Hauptgrund für Maßnahmen im Bereich der Digitalisierung. Die rein ökonomischen Effekte sind daher besonders dominant bei der Betrachtung der Wirkung von Digitalisierungsmaßnahmen. Solche Effekte können bspw. Effizienzsteigerungen oder Automatisierung sein, die sich auch auf die Nachhaltigkeit von Produkten und Prozessen auswirken. [1]
Effizienzsteigerung
Digitalisierung bietet KMU die Möglichkeit, ihre Prozesse zu optimieren und Ressourcen effizienter zu nutzen. Die Einführung von digitalen Technologien in der Produktion und Logistik ermöglicht es, Abläufe zu straffen und den Materialverbrauch sowie Energieeinsatz zu reduzieren. Beispielsweise führen automatisierte Lagerhaltungssysteme und die Vernetzung von Produktionsanlagen zu signifikanten Effizienzsteigerungen, die nicht nur die Kosten senken, sondern auch die Umweltbelastung minimieren. Die Nutzung von Big Data und intelligenten Analysetools kann zudem helfen, Bedarfsprognosen zu präzisieren und Überproduktion sowie Lagerhaltungskosten zu reduzieren. Solche Optimierungen tragen dazu bei, den CO2-Ausstoß zu verringern und Ressourcen zu schonen.1
Automatisierung
Die Automatisierung von Prozessen durch digitale Technologien bietet weitere Potenziale zur Ressourceneinsparung. Durch den Einsatz von Robotern und KI-gesteuerten Systemen in der Fertigung können KMU nicht nur ihre Effizienz steigern, sondern auch Präzision und Qualität verbessern. Dies führt zu einer Verringerung von Ausschuss und Abfall, was wiederum positiv für die Umweltbilanz der Unternehmen ist. Die Automatisierung von Büroprozessen durch digitale Lösungen minimiert den Papierverbrauch und trägt somit direkt zur Reduktion des ökologischen Fußabdrucks bei.
Negative Effekte der Digitalisierung auf Nachhaltigkeit
Die ökonomisch positiven Effekte von Digitalisierungsmaßnahmen können aber auch negative Effekte auf die Nachhaltigkeit mit sich bringen oder sind teilweise unvermeidlich. Es ist daher wichtig, diese Effekte ebenfalls zu kennen und bei Bedarf bereits während der Durchführung von Digitalisierungsmaßnahmen zu beachten, insbesondere wenn diese relevant für etwaige Berichtspflichten oder Auditierungen sind.
Gesteigerter Energie- und Ressourcenverbrauch
Trotz der Potenziale zur Effizienzsteigerung führt die zunehmende Digitalisierung auch zu einem erhöhten Energie- und Ressourcenverbrauch. Die Datenverarbeitung und -speicherung in Cloud-Systemen, der Betrieb von Servern und die Bereitstellung der dafür notwendigen Infrastruktur verbrauchen erhebliche Mengen an Strom, der oft aus nicht erneuerbaren Quellen stammt. Zudem hat die schnelle technologische Entwicklung kürzere Produktlebenszyklen zur Folge, was zu mehr Elektronikschrott führt und die Nachfrage nach seltenen Erden und anderen Rohstoffen steigert oder Produkte werden digitalisiert, die diese Eigenschaften gar nicht benötigen.[2]
Vermehrte Nutzung von digitalen Endgeräten
Die zunehmende Digitalisierung erfordert den Einsatz einer Vielzahl von Endgeräten, deren Produktion und Entsorgung zusätzliche Umweltbelastungen verursachen. Die Herstellung von Smartphones, Tablets und Computern benötigt wertvolle Ressourcen und Energie, während die Entsorgung dieser Geräte am Ende ihrer Lebensdauer Probleme wie Elektronikschrott und die Freisetzung schädlicher Substanzen mit sich bringt.
Viele dieser Aspekte wurden bereits in der Vergangenheit umgesetzt, aber lediglich auf ihre ökonomischen Ziele hin bewertet. Die Vor- und Nachteile aus ökologischer Sicht waren bisher weniger im Fokus der Betrachtungen. Die negativen Effekte werden als Rebound- und Backfire-Effekte klassifiziert und beschreiben den Umfang der negativen Auswirkungen genauer.
Rebound-Effekte
Die durch Digitalisierung erzielten Effizienzsteigerungen können gleichfalls auch zu einem Anstieg des Gesamtverbrauchs an Energie und anderen Ressourcen führen, wenn die Einsparungen zu einer Ausweitung der Produktion oder einer Intensivierung der Nutzung von Gütern und Anlagen führen. Dieses Phänomen, bekannt als Rebound-Effekt, zeigt, dass Einsparungen auf der einen Seite oft zu Mehrverbrauch auf der anderen Seite führen.[3]
Backfire-Effekte
Noch dramatischer sind die sogenannten Backfire-Effekte, bei denen die durch Effizienzsteigerungen erzielten Einsparungen vollständig durch einen Anstieg der Nachfrage oder Nutzung von Gütern zunichtegemacht werden, was letztlich zu einem höheren Ressourcenverbrauch führt als vor der Effizienzsteigerung. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, nicht nur Effizienzsteigerungen anzustreben, sondern auch die Gesamtnachfrage und den Konsum kritisch zu hinterfragen.[4]
Die beiden beschriebenen Effekte können sich aber auch positiv auswirken, bspw. im Energiesektor können Effizienzgewinne zu reduzierten Preisen führen, aber auch zu reduziertem Energieverbrauch.[5]
Strategieentwicklung mit Reifegradmodellen
Bei der Umsetzung von Strategien zur Digitalisierung oder Nachhaltigkeit sollten die aufgezählten Effekte jeweils mit betrachtet werden. Gerade in frühen Phasen der Strategieplanung ist die Bewertung dieser Aspekte jedoch komplex und zumeist auch unscharf. Ebenfalls sind die Dimensionen von Digitalisierung und Nachhaltigkeit in Unternehmen komplex und eng miteinander verknüpft. Die Nachhaltigkeit beeinflussen bspw.:
- Wissen um Themen der Ökobilanzierung, Treibhausgasemissionen, und den ökologischen Fußabdruck
- Umweltkommunikation, Umwelteigenschaften einzelner Produkte /li>
- Qualitätsmanagement, Dokumentation und Bewertung von Umweltschutz
Diese Einflussfaktoren wiederum erfordern oftmals ein gutes und strukturiertes Wissen über die eigenen Prozesse und Produkte, die oft nur durch permanente Datenakquise und -analyse sichergestellt werden kann. Die zu erhebenden Daten erfordern die Integration von digitalen Erfassungssystemen und können schlussendlich auch für ökonomisch orientierte Zwecke wie Produktionsoptimierungen genutzt werden.
Das Mittelstand-Digitalzentrum Chemnitz nutzt Reifegradmodelle für die Entwicklung von Strategien zur Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Sie dienen zur Einschätzung, wie stark die im Modell enthaltenen Kategorien ausgeprägt oder im Unternehmen umgesetzt sind. Beschreibungen der einzelnen Reifegradstufen ermöglichen eine objektive Bewertung. In Workshop-Formaten werden gemeinsam mit interessierten Unternehmen Produkte, Produktion, organisatorische Prozesse und Praktiken in Bezug auf Mitarbeitende und Personal analysiert und restrukturiert. Das Vorgehen umfasst die Entwicklung von Konzepten zur ökologischen und ökonomischen Effizienzsteigerung sowie deren Implementierung. Dies beinhaltet die folgenden Betrachtungsgegenstände zur Analyse der internen Strukturen und Ableitung von Strategien:
Für den Aspekt „Beschaffungsprozess“ können exemplarisch die Kategorien „Umwelteigenschaften von Lieferanten“ oder „Kooperation mit Stakeholdern“ in den Reifegraden 0 (Beobachter) bis 4 (Experte) bewertet werden.
Kategorien, die im Bereich Digitalisierung abgefragt werden, sind beispielhaft in Abbildung 3 dargestellt und umfassen die zumeist technische Umsetzung von Digitalisierungsmaßnahmen mit dem Ziel der Effizienzsteigerung.
Der strukturierte und geführte Einsatz des Reifegradmodells ermöglicht es Unternehmen einerseits den aktuellen Stand in Bezug auf die eigene Umsetzung besser zu quantifizieren und andererseits zeigt das Modell auch weitere Entwicklungsstufen für zukünftige Entwicklungen auf. Ebenso ist es möglich, bestimmte Bereiche der Modelle bei der Strategieentwicklung auszulassen, wenn diese im Unternehmen keine Rolle spielen. Beispielsweise kann der Komplex „Produkt“ ausgelassen werden, wenn das Unternehmen sich auf die Erbringung von Dienstleistungen konzentriert und keine eigenen Erzeugnisse herstellt. Mit der gemeinsamen Betrachtung der beiden Reifegradmodelle kann eine Strategieentwicklung erfolgen, die auch gegenseitige Abhängigkeiten wie Rebound- oder Backfire-Effekte beachtet und bereits in frühen Phasen aufzeigt.
Fazit
Die Digitalisierung bietet KMU erhebliche Chancen, ihre Prozesse effizienter und nachhaltiger zu gestalten. Gleichzeitig birgt sie Risiken für die Umwelt, die durch einen gesteigerten Ressourcenverbrauch und die Erzeugung von Elektronikschrott entstehen. KMU müssen daher eine ausgewogene Strategie entwickeln, die sowohl die Vorteile der Digitalisierung maximiert als auch ihre negativen Auswirkungen auf die Umwelt minimiert. Eine solche Strategie erfordert ein tiefes Verständnis der eigenen Prozesse, eine klare Vision für die Zukunft und die Bereitschaft, in nachhaltige Technologien und Praktiken zu investieren. Das Mittelstand-Digital Zentrum Chemnitz unterstützt dies durch gezielte Workshops zur Strategieentwicklung und den Einsatz von Reifegradmodellen.
Der Fachcheck Nachhaltigkeit kann erste Einblicke in mögliche Handlungsfelder liefern, bevor im Rahmen eines Workshops konkrete Strategien entwickelt werden. Durch die bewusste Integration von Digitalisierung und Nachhaltigkeit können Unternehmen nicht nur ihre ökologische und soziale Verantwortung wahrnehmen, sondern auch ihre Innovationskraft stärken und langfristig erfolgreich am Markt agieren.
Quellen und weiterführende Literatur
- Gensch, C.-O.; Gailhofer, P.; Gsell, M. (2019): Digitalisierung und Nachhaltigkeit: Politische Gestaltung zwischen Möglichkeiten, falschen Versprechungen und Risiken.
- Filho, W. L. (2021): Digitalisierung und Nachhaltigkeit. DOI: 10.1007/978-3-662-61534-8.
- Druckman, A.; Chitnis, M.; Sorrell, S.; Jackson, T. (2011): Missing carbon reductions? Exploring rebound and backfire effects in UK households. In: Energy Policy 39, 3572–3581.Buhl, J.; Echtermacht, L.; Geibler, J. v. (2015): Rebound-Effekte: Ursachen, Gegenmassnahmen und Implikationen fuer die Living Lab-Forschung.
- Hertwich, E. G. (2005): Consumption and the Rebound Effect: An Industrial Ecology Per-spective. In: Journal of Industrial Ecology 9 (1-2), S. 85–98. DOI: 10.1162/1088198054084635.
- Arnold, M.; Fischer, A. (2019): Fluch und Segen der Digitalisierung im Kontext einer Entwicklung zur Nachhaltigkeit. In: Chemnitz Economic Papers (No. 031).