„Willkommen im Erzgebirge“: Neue Ideen und Impulse für Ankommen und Bleiben
Kann Zuwanderung im Erzgebirge gelingen? Und wenn ja, welche Voraussetzungen sind notwendig, um Menschen im Erzgebirge dauerhaft zu integrieren? Diese Frage beschäftigt viele regionale Unternehmen und Beteiligte im Prozess von Anwerbung, Ankommen und Integration. In Befragungen und Gesprächen wird dies immer wieder signalisiert. Deutlich werden aber auch die Hürden und konkreten Bedarfe.
In diesem Nachgelesen erfahren Sie:
- mit welcher Ausgangssituation Unternehmen im Erzgebirge konfrontiert sind und
- wie ein ganzheitlicher Lösungsansatz aussehen kann.
Außerdem stellen wir drei regionale Angebote vor:
- das Fachkräfteportal Erzgebirge
- das Welcome Center Erzgebirge
- das Projekt CSRnetERZ für gesellschaftliches Engagement im erzgebirgischen Mittelstand.
In Erfolgsgeschichten aus der Praxis berichten lokale Unternehmen, wie digitale Portale bei der Fachkräftegewinnung helfen und Digitalisierungsprojekte anstoßen können. Ein zweites Beispiel zeigt, wie Integration gelebt werden kann und Menschen unterschiedlicher Nationalität erfolgreich zusammenarbeiten.
Die Ausgangssituation – kurzer Faktencheck
Fast 15.000 kleine und mittlere Unternehmen (KMU) in einer breiten Branchenvielfalt, eine Region mit der zweithöchsten Industriedichte und der größten Handwerksdichte Sachsens und eine Arbeitslosenquote, die mit 4,2 Prozent im Jahr 2022 so niedrig wie nirgends in Sachsen war: Das ist das Erzgebirge mit seiner wirtschaftlichen Kraft. Doch Fachkräfte, die das Schwungrad der Wettbewerbsfähigkeit am Leben erhalten, werden immer weniger. Und der demografische Druck wird in den nächsten Jahren weiter steigen – vielfach wird von der demografischen Keule gesprochen. Lösungen, um dem zu begegnen, müssen dringend her. Denn Fakt ist: In den nächsten zehn Jahren werden im Erzgebirge ca. 30.000 Arbeitskräfte fehlen.
Die Wirtschaftsförderung Erzgebirge GmbH (WFE) ist Transferpartner im Mittelstand-Digital Zentrum Chemnitz und verfolgt für die Themen Fachkräftegewinnung und Fachkräftesicherung einen ganzheitlichen regionalen Ansatz. So ist das Fachkräfteportal Erzgebirge seit 15 Jahren sehr gut etabliert. Zu den neueren Serviceangeboten gehören das Welcome Center Erzgebirge mit passgenauen Angeboten für ausländische Fachkräfte und das Projekt CSRnetERZ (Corporate Social Responsibility Netzwerk Erzgebirge) als ein wichtiger Baustein für die Fachkräftesicherung in der Region.*
Lernen Sie im Folgenden auch Use Cases kennen, die zeigen, wie die Unternehmen Holz-Hess und OMERAS bereits von den Serviceangeboten profitieren.
Ganzheitlicher regionaler Ansatz
Die Serviceangebote basieren auf drei zentralen Instrumenten, die in den vergangenen Jahren entwickelt wurden:
- Präsentations-, Kontakt- und Austauschformate zwischen Unternehmen und (Nachwuchs-) Fachkräften
- Services für Unternehmen zur Unterstützung bei fachkräftespezifischen Herausforderungen
- Angebote zur wechselseitigen Befähigung zwischen regionalen Unternehmen im Umgang mit personalbezogenen Themen
Ein Ziel der Angebote ist es, die Berufsorientierung und duale Ausbildung von Talenten positiv zu begleiten, um jungen Menschen den Weg für eine Karriereplanung im Erzgebirge zu ermöglichen bzw. Wege aufzuzeigen, während des Studiums die Heimat im Blick zu behalten. Ein zweiter wesentlicher Punkt ist, Talente im Erzgebirge zu halten und direkt mit Unternehmen zu arbeiten, um deren Mitarbeiterbindung zu stärken. Der dritte Bereich umfasst das Finden von Talenten durch ein gutes Fachkräfte-Marketing für die Region. Ein weiteres Ziel ist die Unterstützung erzgebirgischer Unternehmen bei der Integration neuer Talente. Für die Weiterqualifizierung des Personals hält die Fachkräfteallianz Erzgebirge auf die regionalen Wirtschaftsbedürfnisse zugeschnittene Angebote bereit.
Talente FINDEN – das Fachkräfteportal Erzgebirge
Seit mehr als zehn Jahren vermittelt das Fachkräfteportal Erzgebirge Stellen aus der Region an Rückkehrende, Pendelnde sowie vor Ort lebende Menschen und Zuwandernde. Die digitale Plattform ist medial stark präsent und offeriert täglich über 2000 aktuelle Job- und Ausbildungsangebote regionaler Firmen.
Praxisbeispiel Holz-Hess – der richtige Schritt Richtung Zukunft
Tom Jahn ist einer der beiden Geschäftsführer, die seit nunmehr reichlich einem Jahr das Unternehmen Holz Hess GmbH leiten.
Ihn zog es nach der Wende nach Bayern und weite Teile Deutschlands. Die freie Stelle des Geschäftsführers fand er im Fachkräfteportal Erzgebirge. „Mich hat die Perspektive gereizt, ein Unternehmen in die Neuzeit zu führen“, denkt er zurück. Dazu gehörte von Beginn an die Digitalisierung – auch um den Fachkräftemangel auszugleichen. Zusammen mit dem Mittelstand-Digital Zentrum Chemnitz entstand eine digitale Auftragsmappe. Denn das Tragen von Mappen mit Datenblättern und Auftragslisten oder USB-Sticks von Halle zu Halle, von Produktion zur Verwaltung machte die Prozesse unübersichtlich. Über digitale Prozesse wurden alle Aufgaben miteinander verbunden und die Arbeitsabläufe damit einfacher und transparenter. Um den Transformationsprozess von Anfang an so transparent wie möglich zu gestalten, führten die Chefs regelmäßige Gespräche mit den Mitarbeitenden ein. Denn „Digitalisierung kostet nicht nur viel Geld, sondern auch Kraft. Alle Mitarbeiter müssen in dem Prozess mitgenommen werden – jene, die eine Affinität zum Internet haben und auch jene, die Ängste haben, mit der Software umzugehen“, betont Tom Jahn. Sonst drohe Überforderung und damit auch die Gefahr, Mitarbeitende gedanklich zu verlieren. Und mit jeder Teamrunde spürte man, dass die anfängliche Skepsis etwas grundhaft Neuem gegenüber auch beim letzten Mitarbeitenden sank. Jeder Workshop in der Konzeptphase führte außerdem dazu, dass die beiden Geschäftsführer Dinge hinterfragten. Denn es stellte sich die Erkenntnis ein: Die Zeitersparnis aus dem digitalen System schafft Raum und Zeit für neue kreative Ideen. „Wir haben große Schritte in kleinen Einheiten umgesetzt. Zum Ende des Jahres stand das neue Management-System“, so Tim Lenk.
Bei aller Digitalisierung wird im Unternehmen großer Wert auf die zwischenmenschliche Ebene gelegt. Und wie das auf dem Dorf so ist, kennen sich die meisten sogar privat. „Ich genieße die Zusammenarbeit im Team. Hier zählt noch der Handschlag. Ich schätze die direkte Geradezu-Mentalität unserer Leute, die voller Ideen stecken und die Firma mitgestalten“, so Tom Jahn, der vorher kaufmännischer Leiter in einem 800-Mann-Unternehmen war.
Talente INTEGRIEREN – das Welcome Center Erzgebirge
Das Welcome Center Erzgebirge war mit seiner Eröffnung im Juli 2016 das erste seiner Art in einem sächsischen Landkreis. Es ist zentrale Servicestelle, wenn es für „Neulinge“ im Erzgebirge um das perfekte Ankommen geht. Beispielsweise steht es als Lotse im Behördendschungel zur Seite. unterstützt es zukünftig bei der Vermittlung von Partnern, um im Ausland neue Mitarbeitende zu finden.
Hemmnisse und Hürden überwinden
Die gezielte Ansprache und Integration von Arbeits- und Fachkräften aus dem Ausland stellt künftig eine wichtige Säule der Fachkräftesicherung dar. Doch eine im März 2023 vom Welcome Center Erzgebirge durchgeführte Befragung in 780 Unternehmen zum Thema ausländische Fachkräfte ergab: Es gibt zu viele Hürden und konkrete Bedarfe seitens der regionalen Unternehmerschaft. Die größten Hemmnisse für den Einsatz ausländischer Arbeits- und Fachkräfte sind fehlende oder wenig passgenaue Deutschsprachkurse. Hinzu kommen mangelnde fachspezifische Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten.
Die Ergebnisse der Umfrage bildeten die Basis für drei Workshops zu den Themen „Sprache und Qualifizierung“, „Infrastruktur und Mobilität“ sowie „Integration in das betriebliche und soziale Umfeld“. Sie sind zudem Ausgangspunkt für zwei neue Modellprojekte des Welcome Centers Erzgebirge. Sie sollen beim Aufbau einer Willkommenskultur in der Region helfen, Arbeitskräfte erfolgreich anwerben und diese schließlich optimal ins betriebliche und soziale Umfeld integrieren. Dazu entsteht unter anderem eine Datenbank, die staatliche Rekrutierungsprogramme und privatwirtschaftliche Anwerbeakteure listet. Darüber hinaus soll eine Plattform ortsnahe Sprachkurse, Qualifizierungsangebote und möblierte Wohnungen bündeln. Im Vordergrund der Projekte stehen auch vertiefende Workshops und Seminare. Sie fokussieren zum einen, Bewerberinnen und Bewerber aus dem Ausland erfolgreich zu rekrutieren und dauerhaft im Erzgebirge zu integrieren. Zum anderen bieten sie Coaching-Programme für Mentoren an.
Deutlich wird, dass willkommen-heißen sowohl eine Unternehmens- als auch gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Nur gemeinsam können umfassende Fachkräfte-Initiativen geleistet werden. Im Erzgebirge geht dies durch die starke Kooperation vieler regionaler Akteure, der regionalen Fachkräfteallianz und mit der Unterstützung des Freistaats Sachsen.
Praxisbeispiel OMERAS – wo Internationalität schon Alltag ist
Wie wichtig der Prozess des „richtigen“ Ankommens ist, um nachhaltige Integration zu schaffen, weiß Oliver Knauf, Geschäftsführer der OMERAS GmbH in Lauter. 170 Beschäftigte arbeiten in seinem Unternehmen, das sich auf die Fertigung von Fassadenverkleidungen spezialisiert hat. Als international agierendes Unternehmen ist OMERAS in 46 Ländern aktiv. Etwa 15 Prozent der Beschäftigten kommen aus dem Ausland – Tendenz steigend. Und so arbeiten in Lauter-Bernsbach Beschäftigte aus zwölf Nationen. Weltoffenheit ist dort eine Selbstverständlichkeit. „Genauso wie das Unternehmertum nicht am Betriebstor endet, gehört zu einer nachhaltigen Integration ein willkommen sein im Unternehmen und in der Freizeit. Ein Ansatz, mit dem wir sehr positive Erfahrungen gemacht haben, ist Integration durch Sport – zum Beispiel spielen im örtlichen Fußballverein einige unserer internationalen Mitarbeiter. Wir müssen ganzheitliche Wege suchen und Lösungen finden. Am Ende sind wir es, die Menschen, die Unternehmer, die Macher, die dies gestalten können“, betont Oliver Knauf.
Talente BINDEN: gesellschaftliches Engagement im erzgebirgischen Mittelstand
Corporate Social Responsibility (CSR) vereint ein verantwortliches unternehmerisches Handeln im eigentlichen Kerngeschäft mit dem Schutz und der Wahrung natürlicher Ressourcen, fairen Beziehungen mit den Mitarbeitenden und dem Engagement für das Gemeinwesen. Themen wie Nachhaltigkeit, Einbindung von Mitarbeitenden oder die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bilden den Fokus im Projekt CSRnetERZ* und sind ein weiterer wichtiger Baustein für die Fachkräftesicherung in der Region.
Das Projekt fußt auf der Idee des Netzwerkens und gegenseitigen Lernens: Die Unternehmen tauschen sich untereinander aus und regen zum Nachdenken über die Personalarbeit und Attraktivität des eigenen Unternehmens an. Bis heute haben sich über 120 Unternehmen aus dem Erzgebirge in elf Gruppen und knapp 100 Veranstaltungen mit Ideen und Erfahrungen eingebracht. Die Mehrzahl der Ideen ist weder aufwändig noch teuer. Sie können adaptiert werden und zahlen langfristig auf das wertvollste Gut im Unternehmen ein – die Belegschaft.
Margret Gleiniger, Geschäftsführerin der KSG GmbH erklärt mit ihren Worten, warum sie das Projekt unterstützt: „Der Mensch ist das wichtigste Gut und der Mensch macht den Unterschied. Maschinen und Technologien kann man sich heute überall kaufen. Erfahrung, Wissen, Engagement und Identifikation – das ist der wirkliche Wert. Die Bedürfnisse der Mitarbeiter haben sich über die Jahre verändert, darauf müssen wir Unternehmen eingehen. Im Netzwerkzirkel CSRnetERZ haben sich erzgebirgische Unternehmen zusammengeschlossen, um genau an diesen Punkten zu arbeiten und voneinander zu lernen.“
* Fachkräfteportal Erzgebirge, Welcome Center Erzgebirge und CSRnetERZ werden mitfinanziert aus Steuermitteln auf Grundlage des von den Abgeordneten des Sächsischen Landtags beschlossenen Haushaltes und sind Projekte der Fachkräfteallianz Erzgebirge.