KI im produzierenden Mittelstand: Anwendungsgebiete & Lösungen
Dr. Alexander Dementyev
Der produzierende Mittelstand ist der wahre Erfolgsträger der deutschen Wirtschaft. Jedoch hinken viele KMUs beim Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) den großen Konzernen immer noch hinterher. Dabei verspricht man sich durch Einführung von KI eine Reihe von Vorteilen. Dazu gehören unter anderem eine weitere Steigerung der Produktivität sowie der Qualität der Erzeugnisse bei einer gleichzeitigen Senkung des Energie- bzw. Ressourcenverbrauchs. In den letzten Jahren ist durch eine Reihe von günstigen Faktoren (vor allem eine gestiegene Leistung der Rechentechnik sowie hohe Datenverfügbarkeit) ein erhebliches Wachstumspotenzial für KI-basierte Anwendungen entstanden.
In dieser Nachgelesen-Ausgabe erfahren Sie:
- statistische Hintergrundinformationen zu KI
- wie wir den Begriff KI einordnen
- wichtige KI-Anwendungsgebiete für den produzierenden Mittelstand
- erfolgversprechende Vorgehensmodelle bei der Einführung von KI
- Einblicke in Abrechnungsmodelle
Was sagt die Statistik
Eine Studie von Deloitte aus dem Jahr 2020 zeigt, dass Künstliche Intelligenz in Mittelstandsunternehmen vor allem mit dem selbstständigen Treffen von Entscheidungen (38 Prozent der Befragten), also einem autonomen Charakter, verbunden wird. Auch die Prozessoptimierung von Arbeitsabläufen im Unternehmen (23 Prozent) zählte zur Definition von KI-Systemen. Dabei gaben 41 Prozent der befragten mittelständischen Unternehmen an, dass sie jährlich 500.000 Euro und mehr für Technologien Künstlicher Intelligenz ausgeben1. Der KI-Einsatz wird somit sowohl für die gesamte Wirtschaft als auch für Mittelstandsunternehmen zunehmend wichtiger.
Den Begriff KI einordnen
Für den Begriff “Künstliche Intelligenz” gibt es leider keine einheitliche Definition – weil selbst die Deutung von „menschlicher Intelligenz“ unscharf ist.
Künstliche Intelligenz
Im Allgemeinen kann man jedoch unter KI die Fähigkeit einer Maschine verstehen, menschliches Handeln und darunter auch logisches Denken und Lernen aus Erfahrung zu imitieren. Somit ermöglicht es KI den technischen Systemen, ihre Umgebung wahrzunehmen, mit dem gewonnenen Wissen sinnvoll umzugehen und im Endeffekt Probleme zu lösen, um damit ein bestimmtes Ziel zu erreichen.
KI wird heute überwiegend im Kontext des maschinellen Lernens (ML) verwendet, beinhaltet jedoch eine Vielzahl anderer Anwendungen wie etwa Expertensysteme, Spracherkennungssysteme oder digitale Assistenten.
Ausschlaggebend ist dabei die Fähigkeit, mit neuen bzw. unbekannten Situationen erfolgreich umzugehen, neue Informationen zu verarbeiten und „zu verstehen” und aus den verfügbaren Daten Wissen zu generieren, um gestellte Aufgaben zu lösen. Genau diese Fähigkeit unterscheidet KI-Systeme von klassischen „regelbasierten“ Automationssystemen, die bei jeder Veränderung der Umgebung oder der Aufgabenstellung erneut manuell angepasst werden müssen.
Vorteile beim KI-Einsatz ©Pixabay.com
Überblick wichtigster Anwendungsgebiete
KI-Anwendungsgebiete für den produzierenden Mittelstand sind sehr vielfältig und es ist schlicht nicht möglich eine abschließende Liste zu erstellen. Deshalb wird im Rahmen dieses Beitrags nur eine grobe Übersicht gegeben.
Instandhaltung
Beim Einsatz von KI-basierten Prognosemodellen können Sie genau ermitteln, in welchem Zustand sich Ihre Maschinen befinden. Damit können Sie rechtzeitig Entscheidungen treffen, welche Ihrer Anlagen gewartet werden müssen. Durch Anpassung der Wartungsplanung vermeiden Sie Ausfälle in Ihrem Maschinenpark. Basis für diese KI-Algorithmen bilden dabei historische und aktuelle Maschinendaten.
Prozessoptimierung und -steuerung
Dies ist ein weiteres Anwendungsfeld von künstlicher Intelligenz in der Produktion. Dabei werden fertigungs- oder verfahrenstechnische Prozesse optimiert. Im Mittelpunkt der Optimierung stehen hier nicht nur die Maschinen selbst, sondern auch die Produktionsschritte oder ganze Prozessketten. Zum Beispiel können, basierend auf Maschinen- und Prozessdaten, mittels KI-Modellen wichtige Einflussfaktoren ermittelt und optimale Prozesseinstellungen vorgenommen werden. Der KI-Algorithmus kann dabei den Produktionsprozess in Echtzeit auswerten und bei Bedarf die entsprechenden Anpassungen vornehmen. Damit können Sie sowohl den Ausschuss als auch den Energiebedarf Ihrer Prozesse minimieren.
Qualitätsmanagement und -kontrolle
Hier helfen Ihnen die KI-basierten Verfahren, wie etwa Bilderkennung oder Bildklassifikation, die aufwendigen und fehleranfälligen manuellen Qualitätskontrollen zu automatisieren. Nach einer Anlernphase kann die KI die Anomalien auf Bildern, die mit Kameras erfasst wurden, erkennen und dem Bediener entsprechende Hinweise geben. Alternativ kann die KI die defekten Teile auch vollautomatisiert aussortieren.
Produkt- und Prozessentwicklung
Mit KI-Lösungen, wie etwa mit künstlichen neuronalen Netzen zur Prognose der mechanischen Eigenschaften von Produkten, können Sie Ihre Design- und Engineering-Prozesse optimieren. Eine der vielen Einsatzmöglichkeiten für KI ist die Nutzung von Maschinellem Lernen zur Auswertung von Test- oder Simulationsdaten, um komplexe Zusammenhänge in der Produktentwicklung per Mustererkennung aufzudecken. Auch der KI-Einsatz für Planungs- und Optimierungsaufgaben ist sinnvoll, um manuellen Aufwand einzusparen und den Entwicklungsprozess zu beschleunigen.
Weitere vielversprechende KI-Anwendungsgebiete sind zum Beispiel:
- Assistenzsysteme,
- Produktionsplanung (u.a. Nachfrageprognose),
- Kundenkommunikation,
- Automation (darunter auch Robotik) und
- Logistik.
Erfolgversprechende Lösungsansätze für KI-Implementierung
Um das Optimierungspotential in produktionstechnischen Anlagen durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz wirtschaftlich erschließen zu können, ist eine systematische Vorgehensweise unerlässlich. Seit Ende der 1990-er Jahre wurden dafür bereits mehrere Vorgehensmodelle vorgeschlagen. Im Bereich prototypischer KI-Implementierungen hat sich inzwischen das sogenannte CRISP-DM-Vorgehensmodell etabliert.
CRISP-DM (Cross Industry Standard Process for Data Mining) ist ein allgemeines Vorgehensmodell für alle datengesteuerten Anwendungen. Es wurde 1996 in einem EU-Projekt entwickelt und definiert insgesamt sechs verschiedene Phasen einer prototypischen KI-Implementierung. CRISP-DM ist anwendungsneutral und kann somit in beliebigen Bereichen eingesetzt werden. Es gibt inzwischen weiterentwickelte und speziell auf Anforderungen aus dem Bereich Produktion angepasste Vorgehensmodelle – wie etwa das ML4P-Vorgehensmodell2. Ziel dieses Vorgehensmodells ist eine nachhaltige KI-basierte Anwendung im kontinuierlichen Betrieb in der Produktion.
CRISP-DM Vorgehensmodell für prototypische KI-Implementierungen ©Fraunhofer IWU
Es ist zu beachten, dass die Datenakquise und Datenvorbereitung aufwändige und zeitraubende Etappen der KI-Systementwicklung sind – erfahrungsgemäß fließen in diese Teilaufgaben bis zu 80 % des Gesamtprojektaufwandes ein.
Neben standardisierten Vorgehensmodellen gibt es inzwischen ein umfangreiches Angebot an Entwicklungsumgebungen und Software-Bibliotheken für die schnelle Implementierung von KI-Anwendungen. Dabei wird zwischen Open-Source bzw. freier Software, wie zum Beispiel Anaconda-Plattform für R und Python Programmiersprachen, und proprietären Lösungen wie etwa Mathworks MATLAB oder cloudbasierte KI-Umgebungen von Amazon (Amazon Web Services), Microsoft (Azure) usw. unterschieden.
Die Benutzung von standardisierten Vorgehensmodellen und Entwicklungswerkzeugen erlaubt den Anwendern die Konzentration auf eine gründliche Konzipierung der angestrebten KI-Lösung und die Vorbereitung der dafür erforderlichen Daten.
Einblicke in Abrechnungsmodelle
Eine aufkommende Strategie für KI-Anwendungen ist es, Kunden kostenpflichtige Zusatzfunktionen neben der Grundfunktionalität eines Produktes anzubieten – und zwar in Form digitaler Zusatzdienste. Man kann somit seinen Kunden innovative und maßgeschneiderte KI-Lösungen verkaufen, damit diese die eigenen Daten intelligent und ohne Zusatzaufwand verwerten können.3
Unter Umständen werden dafür einfache Sensorerweiterungen an Maschinen benötigt, um die erforderlichen Daten bereitzustellen. Als Ergebnis können die Kunden diesen Service in Form eines „Abonnements“ in Anspruch nehmen, wobei planbare Kosten entstehen – im Sinne einer „As-a-Service“-Strategie, die bereits bei vielen Großkonzernen wie HP oder Amazon seit Jahren erfolgreich betrieben wird.
Es ist also durchaus sinnvoll für KMUs, die Monetarisierung ihrer Daten durch die Einführung von On-demand- bzw. Pay-per-Use-Abrechnungsmodellen zu überlegen. Es ist auch klar, dass dafür ein Umdenken des Geschäftsmodells notwendig ist, wobei ebenfalls Kunden die Bereitschaft dafür zeigen sollten. Jedoch wird in der nächsten Zukunft die Erweiterung des Geschäfts um digitale Zusatzdienste an Relevanz nur gewinnen.
Zusammenfassung
Trotz vieler Erfolge beim KI-Einsatz in KMUs gibt es immer noch starke Hemmnisse für den Einsatz von KI in der Produktion. Diese liegen überwiegend im fehlenden Wissen über KI, deren Grenzen und Einsatzmöglichkeiten, im Mangel an Fachkräften und im immer noch zögerlichen Transfer von Forschungsergebnissen in die produzierende Wirtschaft begründet.
Um eine Verbreitung von KI-Anwendungen in der Produktion zu fördern, ist eine verstärkte Aufklärung erforderlich, zudem die Einbindung der KI-Thematik in die Aus- und Weiterbildung und der Knowhow-Transfer aus Wissenschaft und Forschung in die Betriebspraxis.
Genau hier setzen die Spezialisten und KI-Trainer am Mittelstand-Digital Zentrum Chemnitz mit ihrer Expertise an und unterstützen kleine und mittlere Unternehmen beim klugen Einsatz von KI. Die Unterstützungsleistungen sind dabei speziell auf KMU zugeschnitten und richten sich an alle Branchen und Level. Die KI-Trainer bieten maßgeschneiderte Informations- und Qualifizierungsformate wie etwa Webinare, Workshops, Impuls- und Umsetzungsprojekte an und geben gern weiter, was man heute über KI und ihre Anwendung wissen sollte.
Anmerkungen/Quellen
- Deloitte: Künstliche Intelligenz im Mittelstand (2021). Zitiert nach de.statista.com https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1297666/umfrage/begriffsverstaendnis-von-kuenstlicher-intelligenz-in-mittelstaendischen-unternehmen/
- Vorgehensmodell für Maschinelles Lernen in der Produktionsumgebung: Strukturierter Weg zur Implementierung von ML-Methoden in Produktionsprozessen. https://digitalzentrum-chemnitz.de/wissen/ml4p-vorgehensmodell/
- Sopra Steria SE: Manufacturing 2020. Digitale Services im Mittelstand. Entscheiderbefragung und Experteninterviews. https://www.soprasteria.de/newsroom/publikationen/studien/paid/branchenkompass-manufacturing-2020